Zwischen
Krisenintervention und ergänzendem Angebot der Jugendhilfe?
Konzeptionelle Eckpunkte des Projektes Outreach - Mobile Jugendarbeit Berlin
Mobile und sozialräumlich
orientierte Jugendarbeit ist ein Konzept, das unterschiedliche Ansätze
und Methoden in der Jugendarbeit miteinander verknüpft, und damit zu
einem neuen und eigenständigen Ansatz in der Jugendarbeit in Berlin beigetragen
hat. Es wird seit 1997 vom Projekt Outreach innerhalb des Verbandes
für sozial-kulturelle Arbeit e.V., Landesgruppe Berlin, durchgeführt.
Mobile Jugendarbeit bedeutet in erster Linie eine praktische Hinwendung zu
den Orten an denen sich Jugendliche auch tatsächlich aufhalten. Das sind
Parks und Straßen oder allgemein gesprochen: der öffentliche Raum.
Sozialraumorientierung in der Jugendarbeit meint eine Konzentration auf den
Nahbereich der Jugendlichen, oder besser den Wohnbereich, die Nachbarschaft,
den Kiez.
Zur Zeit existiert das Projekt Outreach in neun Berliner Bezirken.
Von
der geteilten zur gespaltenen Stadt?
Lokale Kontexte und Zielgruppen
Die Jugendlichen,
mit denen wir es zu tun haben, haben zumindest was den Westteil der Stadt
betrifft, zu über achtzig Prozent einen Migrationshintergrund. Im Ostteil
der Stadt sind es überwiegend deutsche Jugendliche. Einzige aber signifikante
Ausnahme stellen die Aussiedlerjugendlichen dar, die zwar über einen
deutschen Paß, gleichzeitig aber auch über Migrationserfahrungen
verfügen.
Neben dieser
eher allgemeinen Unterscheidung gilt es, noch kleinteiliger die unterschiedlichen
Lebenslagen in der Stadt zu beachten. Der Prozess des Auseinanderdriftens
der Lebensverhältnisse in Berlin scheint sich nämlich im Moment
zu beschleunigen.
Jugendliche sind von einer derartigen Entwicklung in besonderer Art und Weise
betroffen. Diejenigen, die in Sozialräumen aufwachsen, die als belastet
bezeichnet werden können, haben es schwer eine positive Lebensperspektive
zu entwickeln. Wie sollen sie auch, wenn sich die objektiven Bedingungen um
sie herum immer mehr verschlechtern: ihre Chancen im Bildungssystem oder auf
dem Arbeitsmarkt.
Jugendarbeit kann in diesen Sozialräumen weder mit falschen Versprechungen
noch durch Verharmlosung zur Veränderung der schwierigen Lebensverhältnisse
beitragen. Jugendarbeit kann aber sehr wohl auch hier Arrangements herstellen,
in denen es sowohl individuell als auch kollektiv gelingt, neue und positive
Erfahrungen zur Lebensbewältigung und Problemlösung zu sammeln.
Die Beachtung der Unterschiedlichkeit der lokalen Kontexte in den verschiedenen
Sozialräumen Berlins führt dementsprechend auch zu unterschiedlicher
Ausprägung des Ansatzes.
"Hilf dir selbst, sonst hilft dir ein Sozialarbeiter"
- vom Paternalismus zur Partizipation
Nach wie vor
herrscht in der Berliner Jugendarbeitslandschaft die Tendenz der "Komm-Struktur"
vor. Sie hat sicher da ihre Berechtigung wo Energien und Ressourcen gebündelt
werden müssen, um qualitativ gute Angebote zu entwickeln. Dennoch ist
festzustellen, dass die Konzentration auf dieses Paradigma alleine auch Ausgrenzungsrisiken
in sich birgt.
Insgesamt können wir beobachten, dass nicht nur die Zahl der Jugendlichen,
die durch die bestehenden Angebote der Jugendarbeit nicht erreicht werden,
wächst, sondern dass diese Gruppe auch keine anderen Angebote wahrnimmt
oder wahrnehmen kann. Die Erreichbarkeit einer immer größer werdenden
Gruppe von Jugendlichen ist deshalb eine der Herausforderungen vor der die
Jugendarbeit steht.
Parallel dazu lässt sich seit langem in den Jugendeinrichtungen eine
Tendenz der sozialen Entmischung feststellen, die sich in den letzten zehn
Jahren noch beschleunigt hat. Die Jugendeinrichtungen finden sich in diesem
Prozess zunehmend in der Rolle der "Versorger der sozial am weitesten
Ausgegrenzten" wieder. Diese Tendenz ist im Westteil der Stadt sehr viel
weiter fortgeschritten, sie zeichnet sich jedoch in ihren Umrissen auch klar
für die Ostbezirke ab.
Nach wie vor
hält sich die Mehrzahl der Jugendlichen in ihrem Wohngebiet auf.
Die Orte, an denen sie sich treffen, sind häufig Parks, Einkaufscenter,
Straßen, ganz allgemein der "öffentliche Raum". Outreach
wendet sich diesen Jugendlichen zu, holt sie dort ab, wo sie stehen, akzeptiert
ihre selbst gewählten Treffpunktstrukturen.
Als adäquate Zugangsmethode wählen wir aufsuchende Arbeit/Streetwork.
Gemeinsam mit ihnen setzen wir uns in Bewegung, sowohl wörtlich, als
auch im übertragenen Sinne.
Wir legen Wert darauf, dass unser Ansatz nicht "grenzenlos" ist,
sondern sich am Wohnumfeld der Jugendlichen, ihrem Sozialraum oder Kiez, orientiert.
Neben der Überwindung der reinen Komm-Struktur kommt es uns darüber
hinaus darauf an, die jungen Menschen auch an den Prozessen die sie im Stadtteil
betreffen zu beteiligen.
Wir beobachten
in fast allen Stadtteilen, in denen wir tätig sind einen gestiegenen
Bedarf nach Räumen. Mobile Jugendarbeit reagiert auf diesen Bedarf in
besonderer Art und Weise: Neue (Nutzungs- und Erfahrungs-) räume für
Jugendliche sind schon per se eine Verbesserung für die Infrastruktur
im Stadtteil, ihr pädagogischer "Wert" wird allerdings erst
dann hergestellt, wenn er den Jugendlichen tatsächliche Verfügungsmöglichkeiten
einräumt. Daher ist die Erschließung neuer Ressourcen kein Selbstzweck
sondern macht u.E. nur Sinn, wenn sie verknüpft ist mit Modellen, die
ein Mehr an Eigenverantwortung, Verselbständigung und Emanzipation bedeuten.
Die Verzahnung von aufsuchenden und stationären Angeboten hat sich hier
als ein sehr hilfreiches Konzept erwiesen, insbesondere wenn es darum geht,
die Jugendlichen, die sich öffentlichen Raum aufhalten, zu erreichen
und dann mit ihnen Möglichkeiten der "Raumaneignung" zu entwickeln.
Die zu erschließenden Ressourcen müssen dabei nicht immer eigene
und neue Projekte sein, sie können auch in bestehenden Institutionen
(etwa Jugendeinrichtungen) die "Erfahrungsräume" für Jugendliche
aus dem öffentlichen Raum erweitern.
Vom Fall zum Feld - Nachdenken über Methoden
Um die formulierten
Ziele zu erreichen bedarf es u.E. eines breiten Methodenrepertoires. Breite
darf hier allerdings nicht mit Beliebigkeit verwechselt werden. Ein ganzheitliches
Methodenverständnis basiert eher auf der Erkenntnis, dass ein "Methodendogmatismus"
den komplexen Lebenslagen der Jugendlichen nicht gerecht wird.
Dennoch lassen sich die einzelnen Methoden exakt bestimmen. Im Ansatz der
mobilen Jugendarbeit unterscheiden wir etwa Einzelfallbegleitung, Gruppen-
und Projektarbeit sowie Straßensozialarbeit und Gemeinwesenarbeit. Entscheidend
ist das Verhältnis, in dem die Methoden zueinander stehen. Ganzheitliche
Methodenbetrachtung bestimmt dieses Verhältnis als dynamisch und als
Antwort auf die jeweils gestellten Herausforderungen vor Ort. Darüber
hinaus verfolgen wir das Ziel, jeden methodischen Schritt unter dem Gesichtspunkt
zunehmender Verselbständigung der Zielgruppen zu betrachten. Dies gelingt
um so eher, je mehr die Feldvariablen in einem Stadtteil berücksichtigt
werden.
Konfliktorientierung
Die Artikulation
und Durchsetzung von Interessen von Jugendlichen innerhalb der einzelnen Stadtteile
verläuft selten konfliktfrei. Der Ansatz der mobilen und sozialraumorientierten
Jugendarbeit muss sich dementsprechend auch mit den auftretenden Konflikten
auseinandersetzen.
Konfliktorientierung
bedeutet in unserem Verständnis, mitzuhelfen, den Interessen der Jugendlichen
im Stadtteil Gehör zu verschaffen. Man könnte dies als anwaltschaftliche
Moderation bezeichnen. Das heißt, dass wir mit dazu beitragen, die verschiedenen
Akteure im Stadtteil miteinander ins Gespräch zu bringen, wobei für
uns die Interessen der Jugendlichen im Vordergrund stehen. Dies bedeutet allerdings
nicht, dass wir stellvertretend für sie ihre Interessen versuchen durchzusetzen.
Bei konfligierenden
Interessen zwischen unterschiedlichen Jugendgruppen haben wir gute Erfahrungen
mit dem Einsatz von Mediationstechniken gemacht, mit deren Hilfe wir dazu
beitragen konnten, friedliche Einigungen zwischen den Gruppen zu erzielen.
Hilfreich ist in diesem Zusammenhang, dass in der Regel der Kontakt von Outreach
zu allen beteiligten Konfliktparteien besteht. Im gerechten Aushandeln von
Nutzungsvereinbarungen etwa, von nie genug zur Verfügung stehenden Ressourcen,
kann Outreach eine vermittelnde Rolle übernehmen, in der gemeinsam mit
allen Beteiligten nach adäquaten Lösungen gesucht wird.
Wir grenzen uns
damit sowohl vom Konzept der dogmatischen Parteinahme auf der einen Seite,
als auch von Moderationsansätzen, denen es ausschließlich um eine
"interessenlose" Einigung im Konfliktfall geht, ab.
In diesem Sinne
ist Konfliktorientierung ein konstitutiver Bestandteil der Programmatik des
Ansatzes. Der Gegensatz von Krisenintervention und ergänzendem Angebot
der Jugendhilfe stellt sich also nicht; denn obwohl sich Outreach nicht als
"Sozialraumfeuerwehr" begreift, verschließt es sich nicht
den aktuell im Sozialraum auftretenden Konflikten. |